Mythos
Paradies
Den Sündenfall beim Wort genommen
Den Sündenfall beim Wort genommen
Der Anfang klang vielversprechend (1.Mose 1): Gott
schuf Himmel und Erde, indem er der
Welt sein Wort gab und mit ihm Licht ins Dunkel brachte. Sodann schuf Gott mit Eden, sumerisch ‚edin’, Ödnis, Steppe, eine Oase der Ruhe. Einen Garten, umzäunten Bereich,
ein Gehege, awestisch ‚pairidaēza’. Und darin den Menschen sich selbst zum Ebenbild – als Mann und Frau. Zwei, die eins sind: Mensch.
Im Ursprung wie in ihrem göttlichen Auftrag gleichrangig: Macht euch die Welt untertan.
In „einer
anderen Erzählung von der Schöpfung“, 1.Mose 2, stellt sich aber sogleich die
Glaubensfrage, wird uns dort doch Widersprüchliches mitgeteilt: Der Mensch ist nunmehr nicht mehr zwei, Mann und Frau. Er ist jetzt einer: Mann. Ihm erteilt
Gott das Wort. Und allein der Mann
ist es, der den Tieren Namen gibt und von
dessen Fleisch die Männin, die
Belebte, ‚hawwah’, ‚eva’, genommen wird.
Diese Episode bezeichnet das Ende der
Gleichrangigkeit, kaum dass sie begonnen hat, und gleichzeitig den Beginn des
Anspruchs der Herrschaft des Mannes über die Frau. Sie hat zukünftig ihr Leben als dessen dienstbare Gehilfin zu
fristen, während der Mann von nun an das große Wort führt. Zu seinem Leidwesen hat
sein Wort jedoch nicht das Gewicht des Wort Gottes: Gott erschafft mit dem Wort und der Rede, ja: Er ist das Wort, der Logos (Joh. 1,1-3). Der Mensch/Mann hingegen vermag
mit dem Wort nicht zu erschaffen – er benennt
die Dinge nur.
Der Name des Mannes leitet sich aus dem
her, woraus Gott ihn formte: dem Ackerboden, hebräisch ‚adamah’. Damit wurde sprachlich das vorweg
genommen, was Aufgabe des Menschen wurde: den Boden zu bestellen und zu bewahren.
Eine Aufgabe, die später sein Schicksal werden sollte. Im Auszug aus dem
Paradies wurde der Subtext seines Namens geschrieben, musste adam doch nun im Schweiße seines
Angesichts eben jenen verfluchten adamah
mühsam beackern, der ihm seinen Namen gab (von Eva ist da schon gar nicht mehr
die Rede).
Aber mitten in diese Oase pflanzte Gott
nun, neben dem Baum des Lebens, eine Versuchung, die nach Normverletzung
geradezu schrie. Einen Baum, von dessen Früchten der Mensch keinesfalls kosten
durfte: den Baum der Erkenntnis von Gut und Böse. Warum tat Gott das? Hätte er
den Menschen von Anfang an ganz nach
seinem Bilde erschaffen, also als fertiges, reines und wahrhaft gottgleiches,
jeder weltlichen Versuchung souverän widerstehendes Geschöpf, wäre der Mensch
nicht Gefahr gelaufen, das zu tun, was Menschen nun mal tun, wenn sich die Gelegenheit
dazu bietet: Sie halten sich nicht an
die Regeln.
„Die
Menschen in jenem Garten bekommen alles für ihr Leben Erforderliche zur
Verfügung gestellt; sie müssen sich ihren Lebensraum nicht selbst erobern (...)
Allerdings fordert der geschützte Raum die Anerkennung zunächst ungefragt
geltender Normen“, so der Alttestamentler
Jürgen Ebach in seiner Schrift „Dialektik
der Aufklärung“.
Gelegenheit macht Diebe, sagt der Volksmund.
Kaum anzunehmen, dass Gott (Allah, Adonai, Elohim, Jahwe oder wie immer ihn auch
die Monotheisten dieser Welt genannt haben) dies in seiner unendlichen Weisheit
nicht gewusst haben sollte. So aber schuf er ein Mängelwesen, bei dem er
von vornherein mit eben dem rechnen musste, was schließlich auch eintrat: dass es
seine Gebote missachtet. Self-fullfilling prophecy auf allerhöchster Ebene.
Wie allzu menschlich dann doch Gottes
Reaktion auf die Missachtung seines obersten Gebotes war: Statt sich einsichtig
an die eigene Nase zu fassen, weil niemand anderes als er selbst es war, der diesen
schwachen Menschen erschuf, der gleich bei der erstbesten Gelegenheit der
Versuchung erlag, zürnte er ihm (wie wäre wohl die Geschichte der Menschheit
verlaufen, hätte der Mensch nicht vom Baum der Erkenntnis, sondern vom Baum des
Lebens gekostet?).
Gott lastete ihm an, was er selbst gleich
in doppelter Hinsicht verbockt, verursacht und damit verschuldet hatte. Er machte
das Opfer zum Täter. Und lud ihm seine eigene Schuld auf. Gott zog sich aus der
Verantwortung, keine Spur von wahrlich angebrachter Selbstkritik. Stattdessen warf
er die Menschen im hohen Bogen aus dem Paradies. Dies ist der eigentliche Sündenfall: der Sündenfall Gottes.
Tiere sind nicht imstande, in einem
absichtsvollen, intentionalen Akt Regeln zu brechen, Grenzen zu überschreiten
oder Gebote zu missachten. Anders als der Mensch, der bereits mit seiner
Schöpfung durch den Schöpfer dazu prinzipiell in der Lage gewesen sein muss. Ansonsten
wäre ja Gottes ausdrückliches Gebot, nicht von den Früchten des Baums der
Erkenntnis von Gut und Böse zu essen, sinnlos. Indem der Mensch aber nun nichts
Besseres zu tun hatte, als absichtsvoll zu handeln und das Gebot zu missachten,
um von der verbotenen Frucht zu essen, kam ein zweites Moment hinzu: Resultat seiner
unstatthaften Regelverletzung war etwas, um das er zwar wusste, das er aber in
dieser Form nicht intendierte – ihm wurden die Augen geöffnet, er wurde „wie Gott, wissend um Gut und Böse“.
Es war der Beginn seiner spezifischen Rationalität.
Denn er war von nun an nicht nur fähig, Gebote bewusst und gezielt zu missachten,
er erwarb damit die reflexive Fähigkeit, ihre Gültigkeit zukünftig auch in
Zweifel zu ziehen. Sie grundsätzlich in Frage zu stellen. Nicht einfach als
Gott gegeben hinzunehmen.
„Wer
mit dem eigenen Denken begonnen hat, kann sich (...) Ordnungen“, denen er
unterworfen ist, „nur noch schwer fügen“.
Dank dieser Fähigkeit entpuppt sich der Mensch nunmehr grundsätzlich als Gefahrenherd
einer jeden absolut gesetzten Ordnung, denn die beansprucht nun einmal
bedingungslosen Gehorsam und sakrosankte Gültigkeit: Der Mensch ist erwachsen
geworden, potentiell dysfunktional
und kontraproduktiv, subversiv und subjektiv, destabilisierend und somit
systemgefährdend. Findet sich nicht mehr
tumb mit dem absoluten Anspruch auf Gültigkeit von Normen und Werte sowie entsprechender
Ge- und Verbote ab. Sondern ist nun, zumindest prinzipiell, in der Lage, selber
zu entscheiden. Eben deshalb, so Jürgen Ebach, ist in dem Augenblick, in dem
der Mensch Gut und Böse zu erkennen vermag, auch nicht von ‚Sünde’ oder gar vom
‚Sündenfall’ die Rede: „Es geht um
Autonomie“, um Autonomie des Menschen von jeder Autorität. So auch von
Gott.
„Wer
selbst entscheiden will, was gut und was böse ist, für den (...) kann der
geschützte Raum des Gartens Eden nicht länger der passende Ort sein. Darum ist
die Vertreibung (...) keine Strafe. Wer autonom sein will, dem (...) steht die
Welt offen.“
(Was ist eigentlich so paradiesisch am
Paradies? Der Sündenfall bedeutete zwar den Verlust der ursprünglichen Harmonie
von Schöpfer und Geschöpf. Aber einer Harmonie, die dezidiert darauf baute,
dass sich der Mensch ewiglich an gottgegebene Regeln hielt, bar jeder
Erkenntnis von Gut und Böse. Hält so gesehen nicht der, der das Paradies zum utopischen
Sehnsuchtsort macht, nicht ein himmlisches Plädoyer für ein Leben in auswegloser
Unfreiheit und geistiger Schlichtheit?)
Die Moral war von Stund’ an nicht mehr unumstößlich:
Moralvorstellungen können sich wandeln. Sie sind relativ, nicht absolut. Ein
Spiegel der Zeit, der sozialen, familiären, gesellschaftlichen, politischen,
religiösen, ja manchmal sogar der klimatischen Umstände. Oder auch der
Interessenslage weltlicher wie göttlicher Autoritäten. Adam und Eva haben uns
damit ein für allemal die Bedingung der Möglichkeit geschaffen, Gebote zu reflektieren
und relativieren. Sie haben die Herrschaft demaskiert, der Genuss hat ihnen – und
damit uns – die Chance zur Mündigkeit
und Freiheit gegeben.
Diese Chance ist aber, zu unserem
Leidwesen, von einer fatalen Ambivalenz geprägt: Zu unserer neu gewonnenen Freiheit gehörte nämlich auch die Freiheit, sich aus
„Faulheit und Feigheit“ (Immanuel Kant)
für ihr genaues Gegenteil, für die Unmündigkeit und damit die Unfreiheit und
Autoritätshörigkeit, ja: oft genug sogar für das Böse zu entscheiden. Was
wir seit Menschengedenken auch oft genug getan haben. Und offensichtlich ein
paar Mal zu viel. Weshalb Gott es reute, dass er uns erschuf (1. Mose 6,6). Nach
mir die Sintflut, dachte er sich. Was ein radikaler Versuch war, die Menschheit
zum Besseren zu bekehren. Und, wie man heute weiß, ein untauglicher.
So bleibt einem am Ende nur die ratlose
Frage, die uns wieder zum Anfang führt: Warum hat Gott bloß diese Baum gewordene
Versuchung mitten ins Paradies gepflanzt? Der Mensch nimmt sich nun mal, was er
kriegen kann, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Die Möglichkeiten,
die sich ihm eröffnen, wird er irgendwann ausnutzen. Unweigerlich. Im positiven
wie im negativen Sinn. Das war damals so. Und ist heute in der Digitalen
Transformation und der Perspektive auf das posthumanistische Zeitalter der Technologischen
Singularität nicht anders.
Die Schlange war nur vordergründig die,
die die Menschen in Versuchung brachte (vielsagend ist, dass sie, darauf weist
Jürgen Ebach hin, im Hebräischen gar nicht weiblich ist, sondern männlich). Sie
ist so klug, hebräisch ‚arum’,
wie der Mensch nackt ist, ‚arom’ – mit dieser Attribuierung erlaubt sich die
Bibel im hebräischen Original an dieser Stelle ein bemerkenswertes Wortspiel.
In Versuchung geführt hat die Menschen niemand
anderes als Gott selber. Er trägt die Verantwortung, hat er doch alles nur
Erdenkliche dafür getan, damit die Verführung auch gelingt. Er hat im
Bewusstsein der Tatsache, dass alles, was möglich ist, irgendwann auch wirklich
wird, dem als schwaches, verführbares Wesen konstituierten Menschen den vermaledeiten
Baum als selbsterfüllende Prophezeiung vor die Nase gesetzt: Eine Bedingung der
Möglichkeit für das Gelingen einer Versuchung ist nun mal, dass es überhaupt etwas
gibt, was für jemanden eine Versuchung darstellt – gibt es keine Frucht, kann
auch niemand von dieser Frucht naschen. Ja: Wenn es nie so etwas wie eine
Frucht gegeben hätte, so wäre die Wahrscheinlichkeit recht groß, dass der
Mensch nicht einmal auch nur eine vage Vorstellung von einer solchen Frucht gehabt
hätte. Mithin hätte sich bei ihm kaum das Bedürfnis einstellen können, von ihr naschen
zu wollen.
„Ist
dieser Baum von vornherein eine Falle, in welche die Menschen tappen müssen
oder gar sollen?“ fragt Ebach deshalb nicht ganz zu Unrecht. Es macht fast
den Eindruck, dass dem so ist. Aber warum sollte Gott den Menschen auf
Tauglichkeit prüfen wollen, fast so wie ein Ingenieur sein neuestes Produkt im
Rahmen einer Testreihe? Ist das nicht vielleicht ein bisschen arg profan und
zudem ziemlich anthropozentrisch gedacht? Mit dem Misslingen des Prototyps hat
sich Gott ja als prinzipiell fehlbar erwiesen,
was wenig anderes bedeutet als: ziemlich menschlich. „Wie Gott“ werden als Resultat unseres Ungehorsams heißt somit in
diesem Fall: typisch menschlich werden – fehlbar.
Was im Umkehrschluss bedeutet: Hätten
wir nicht vom Baum gegessen, wäre Gottes Unfehlbarkeit erwiesen. Wir wären dann
zwar nicht „wissend um Gut und Böse“,
aber, da wir nicht gefehlt hätten, in dieser Hinsicht „wie Gott“.
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