Die produktive Kraft der Kultur
In Düsseldorf kämpft
gerade ein Ballettchef um sein Ballett. Ein Theaterintendant um sein Theater. Das
Opernhaus um die Oper. Und die Museumsleiter um den Bestand der städtischen Museumslandschaft.
Völlig legitim – und doch befremdlich. Denn man wird das Gefühl nicht los, dass
hier ein jeder angesichts klammer öffentlicher Kassen wie das Karnickel auf die
Schlange starrt und versucht, seinen eigenen Beritt gegen finanzielle
Begehrlichkeiten seitens der Stadt zu schützen. Dabei, so scheint es, realisieren
die Verantwortlichen nicht recht, dass es gar nicht so sehr um ihre Partikularinteressen,
sondern um das Kulturschaffen als solches geht: um dessen gesellschaftliche Legitimierung.
Die Oper Köln hat 500 Millionen Euro
verschlungen, die Elbphilharmonie wohl rund 800 Millionen, die Museumsinsel
Berlin wird mit 600 Millionen veranschlagt. Und die Instandsetzung des
Schauspielhauses in Düsseldorf wird ganz sicher nicht unter 50 Millionen Euro
zu bewerkstelligen sein. Dass es durchaus nicht nur Kulturbauten sind, bei denen hierzulande die Kosten
explodieren – Stichwort: BER und Stuttgart 21 – weiß zwar jeder, macht eine
schlagkräftige Argumentation für die finanzielle Unterstützung des
Kulturschaffens, von der Hochkultur bis hin zur freien Szene, angesichts leerer
Kassen, die eine Verschiebung der Sanierung maroder Schulen und verwahrloster
öffentlicher Plätze oder die zügige Bereitstellung fehlender Kita-Plätze auf
den Sankt Nimmerleinstag vorsieht, nicht unbedingt leichter.
Wie erkläre ich’s meinem Bürger?
Es ist
kulturpolitische Realität, dass den Bürgern,
die ja zu allem Überfluss auch noch Wähler sind, derart eklatante
Missverhältnisse nicht recht zu erklären sind. Was
nutzen ihnen so wunderschöne wie hochsubventionierte Opernhäuser, in die sich jedoch
nur ein gut situiertes, elitäres Grüppchen verirrt, wenn ihre Kinder gleichzeitig
Schultoiletten aufsuchen müssen, die jeder Beschreibung spotten? Auch wenn man solche
Vergleiche vielleicht als unpassend empfindet, weil, wie Gerhart Baum, der
Vorsitzende des Kulturrats NRW nicht müde wird zu betonen, gerade die
Hochkultur „unverzichtbar für die
Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft“ sei, muss man sich ihnen stellen. Denn Kunst
und Kultur führen nun mal kein monadisches Eigenleben, sie stehen mitten im
Leben. Und das ist nicht unabhängig von gesellschaftlichen Bedingungen und ökonomischen
Zwängen des kommunalpolitischen Alltags, von der berechtigten Erwartungshaltung
der Bürger und paritätischen Befriedigung ihrer Bedürfnisse zu betrachten.
Man muss sich dem Rechtfertigungsdruck
schon deshalb stellen, weil sich gerade dem Teil der Bürger, der niemals einen
Schritt ins Museum, in die Oper oder das Theater macht, die Frage nach dem Nutzwert kultureller Einrichtungen, ja letztlich
von Kunst und Kultur generell stellt: Was
habe ich davon?
Damit befindet sich dieser nicht unbeträchtliche Teil der Bürger ganz auf einer Linie mit der der alles beherrschenden Denk- und Verhaltensstruktur unserer Zeit: der Logik der Ökonomisierung. Sie hat das gesamte Kulturschaffen bereits überformt. Nicht nur in Düsseldorf. Sondern weltweit. Es sind nicht nur die Museen, Theater, Balletts, Orchester und Opernhäuser, die dem Diktat merkantiler, kommerzieller Aspekte gehorchen und deshalb auch, völlig konsequent, nicht von Kulturschaffenden, sondern, wie jüngst erst das Schloss Morsbroich in Leverkusen, von Wirtschaftsprüfern und Unternehmensberatern auf ihre Bestandsfähigkeit hin geprüft werden: Hier bestimmt die Logik der Ökonomisierung bereits die Spielregeln. Und auch die Hochkultur muss ihr Spiel spielen, um sich zu legitimieren. Ein Spiel, das sie nicht gewinnen kann.
Das
Diktat der Ökonomie
Die Bundesregierung unterhält ein
„Kompetenzzentrum für Kultur- und Kreativwirtschaft“, das auf wissenschaftlichen
Konferenzen ganz humorlos die künstlerischen, kulturellen und kreativen
Aktivitäten auf ihre „Innovationsfähigkeit“
hin abklopft, die ökonomische Relevanz der „Kulturindustrie“
erörtert und über messbare Ergebnisse und verwertbare Produkte debattiert, die
das Bruttosozialprodukt einer Gesellschaft steigern können.
Bei G8, der verkürzten
gymnasialen Laufzeit in Deutschland, waren für die Einführung keine
pädagogischen, sondern einzig volkswirtschaftliche Gründe ausschlaggebend. Unter dem Akronym MINT wird die
konsequente Ausrichtung von Studien- und Unterrichtsfächern unter das Primat
der mathematisch-naturwissenschaftlichen Perspektive vorangetrieben. Die ganze
Aufmerksamkeit gilt dabei dem zentralen wirtschaftlichen Innovationssektor, der
angewandten Forschung und exakten Wissenschaft, der Mathematik, Informatik,
Naturwissenschaft, Technik – es ist das Diktat der Funktionalität, das das
Zeitalter der digitalen Transformation beherrscht.
USA und Großbritannien propagieren,
dass die Geisteswissenschaften in Zukunft praktisches Wissen statt freies
Denken vermitteln sollen. In Japan will die Regierung bald ganz ohne
Disziplinen wie Philosophie, Soziologie oder Linguistik auskommen: Erhalten
bleibt einzig, wer praktische, also ökonomische Relevanz nachweisen kann.
Solches
Effizienzdenken führt zur Marginalisierung von Kultur, Ideen und Werten. Hinter allem, so Kai Spiekermann, Philosophieprofessor
an der britischen London School of Economics (LSE), „stehe das neue Ideal der Messbarkeit“.
Es geht um das Prinzip der Verwertbarkeit. Des unmittelbaren Nutzens. Der
Zweckgebundenheit. Entscheidend ist die „employability,
die Verwertbarkeit auf dem Arbeitsmarkt“.
Überall lauert die volkswirtschaftliche Argumentation. Darauf
ausgerichtet degeneriert Bildung, dient sie doch nur noch als Mittel zum wirtschaftlichen
Zweck. Und wird so zum Büttel der Funktionalität. Dabei wäre gerade jetzt eine
gesellschaftliche Gegenbewegung vonnöten, die sich explizit vom Primat der
Ökonomie distanziert. Und den Wert der Kultur, der Kunst, der Reflexion und „geistigen Herausforderung“ (Baum) auf
Augenhöhe sieht.
Partizipation: Kultur
muss öffentlich sein
Es muss dieses stabilisierende
Gegengewicht in der Gesellschaft geben, das nicht funktional getrieben und
zweckorientiert ist. Sondern nonkonformistisch. Subversiv. Diskursiv. Reflexiv.
Nicht rational. Un-vernünftig. Gestalt
gewordenes Plädoyer für das Recht auf Nutzlosigkeit, Dysfunktionalität, Fehler,
Missverständnis und all die anderen Quellen der Inspiration und Innovation.
Aber selbst wenn man, wie der Autor
dieser Zeilen, zutiefst von der konstituierenden Kraft eines breiten, aktiven,
lebendigen und vielfältigen Kulturschaffens für eine intakte Gesellschaft
überzeugt ist: Der deutsche Durchschnittsbürger ist nun einmal, durchaus
nachvollziehbar, vorrangig an der staatlichen Grundversorgung interessiert. Wie
schafft man es da, erstens ihm gegenüber die gleichrangige finanzielle Förderung
von Kunst und Kultur plausibel und nachhaltig zu legitimieren und zweitens
nicht das am Nutzwert orientierte Spiel von Funktionalität und Ökonomie zu
spielen?
Wenn Gerhart Baum nun ganz im Sinne des
gebildeten Kulturbürgers argumentiert, „Kultur
ist nichts für große Mehrheiten“ oder Patrick S. Föhl, der Moderator des
Düsseldorfer Kulturentwicklungsplans, konstatiert, „Museumsbesucher sind Kultur-Flaneure“, so ist das als Feststellung
des Ist-Zustands durchaus richtig. Falsch wäre es aber, es dabei zu belassen:
Vielleicht ist die einzige Chance, das Problem zu lösen, die, die Kultur aus eben dem Winkel zu holen, der vom Bürger als elitär empfunden wird. Und sie ihm ganz zu öffnen. So wie es ansatzweise bereits das Museum Folkwang getan hat. Denn was ist an einem öffentlichen Kulturinstitut öffentlich, wenn es nicht öffentlich, also für die Öffentlichkeit, und damit für alle zugänglich ist, sondern nur für die, die zahlen resp. zahlen können?
Vielleicht ist die einzige Chance, das Problem zu lösen, die, die Kultur aus eben dem Winkel zu holen, der vom Bürger als elitär empfunden wird. Und sie ihm ganz zu öffnen. So wie es ansatzweise bereits das Museum Folkwang getan hat. Denn was ist an einem öffentlichen Kulturinstitut öffentlich, wenn es nicht öffentlich, also für die Öffentlichkeit, und damit für alle zugänglich ist, sondern nur für die, die zahlen resp. zahlen können?
Kultur kann seine
gesellschaftliche Funktion, seine zivilisatorische Aufgabe, den Menschen Werte
abseits rein ökonomisch getriebener Werte zu vermitteln, nur dann erfüllen, wenn
diese die Möglichkeit haben, die Kultur auch als ihre Kultur zu begreifen. Das setzt aber voraus, dass sie sie nicht
als elitär erleben, sondern tätig daran teilhaben können. Oper, Orchester, Ballett,
Theater und Kunstmuseen et al. hätten so eine reelle Chance, in breitesten
Schichten der Bevölkerung Akzeptanz zu finden. Genau dann könnte Kultur ihre
produktive Kraft entfalten.
Werte versus Wert
Gerade die westliche Welt scheint jedoch heute keine
Werte mehr außer dem Nutz-Wert zu kennen. Es ist ein Zeitalter von
nietzscheanischem Format: Wertvoll ist allein, was ökonomisch wertvoll ist. Es
regiert der Kommerz, die nüchterne Rationalität, der kalte Pragmatismus. Und
als wäre das noch nicht genug, erleben wir gerade die Potenzierung der
allumfassenden Ökonomisierung durch Gottes Substitute auf Erden, die Hohepriester der neofuturistischen
Bewegung, sektengleiche Vorreiter des digitalen Zeitalters im Silicon Valley,
die flache Hierarchien predigen, aber streng hierarchisch organisiert sind. Die
ihre Jünger vereinnahmen. Aufsaugen. Den ganzen Menschen fordern, ihn seiner
Privatheit berauben. Und seine Denk- und Verhaltensstrukturen determinieren.
Algorithmisch. Absolut. Ausweglos. Die binäre
Welt akzeptiert nur ihre eigene Logik. Andere Systeme finden in ihr keine
Verwendung und Akzeptanz. Sie schafft jedoch nur einen Wert, keine Werte. Doch
genau danach sehnen sich die Menschen. So entsteht ein gefährliches Vakuum, das
nach Erfüllung schreit – die Demagogen dieser Welt stehen bereits Spalier und reiben
sich frohlockend die Hände.
Extremisten aller Schattierungen machen mobil. White
Aryan Resistance, Kreationisten, Identitäre, Reichsbürger, IS, Wahhabiten,
Salafisten – andere Länder, andere Lager, andere Bedingungen. Aber eines ist
allen gemeinsam: Menschen, die eine neue Ordnung suchen. Aber es nicht selbst
tun, denn das ist zu mühevoll, unbequem, zeitraubend. Nein, sie suchen nach
dem, der ihnen diese Ordnung vermittelt. Der genau die Stärke suggeriert, die
sie verloren haben. Um sich mit ihm zu identifizieren, um so eine neue, kraftstrotzende
Identität zu gewinnen: seine. Sie suchen Orientierung. Und finden sie in den Demagogen,
die ihnen den Weg weisen. Werte definieren. Stabile, klare, einfach
strukturierte Wertesysteme. Um dann im wohligen Schoß einer Masse, eines „Wir“ aufzugehen.
Kultur ist konstitutiv für die
Gesellschaft
An diesem Punkt zeigt sich, welche überragende
Bedeutung Kultur für eine Gesellschaft haben kann: Sie ist in der Tat „unverzichtbar für die Zukunftsfähigkeit
unserer Gesellschaft“, wie es Gerhart Baum ausdrückte. Weil sie einen
entscheidenden Beitrag dazu leisten kann, dieses gefährliche Vakuum zu füllen,
das die Ausschließlichkeit, mit der die Logik der Ökonomisierung auftritt, letztlich
mit erzeugt hat. Aber, wie gesagt, die Voraussetzung dafür, dass Kultur dieser
Aufgabe auch nur ansatzweise gerecht werden kann, ist, dass alle die Chance
haben, an ihr teilzuhaben. Nicht nur eine bildungsbürgerliche Minderheit.
Wenn nun Kultur als Werte vermittelndes
Gegengewicht zu einer durchweg ökonomisierten Welt unter die Kuratel einer ökonomisch
definierten Rechtfertigung gestellt würde, wäre das nachgerade absurd. Kunst
und Kultur muss nach ihren eigenen Spielregeln spielen dürfen, nicht nur nach
denen der Ökonomie. So wie diese ja auch nicht nach den Spielregeln der Kunst
und Kultur spielen mag.
Natürlich kostet das.
Aber so, wie wir in der Zukunft 4.0, im Zeitalter der digitalen Transformation
und der damit einhergehenden endgültigen Einsparung von Arbeitsplätzen, die auf
einen als Arbeitskraft oftmals überflüssigen Menschen hinauslaufen, nicht umhin
kommen werden, über eine Wertschöpfungsabgabe und einen radikalen Umbau der
strukturell noch aus dem 20., ja zu Teilen noch aus dem 19. Jahrhundert
stammenden Steuer-, Renten- und Sozialsysteme zu sprechen, so werden wir auch
im Kulturbereich über radikal andere Modelle der Förderung und Finanzierung
diskutieren müssen. Über solche, die sich nicht am Primat der Logik der
Ökonomisierung orientieren. Sondern am Bürger.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen