Mittwoch, 7. September 2016


Unerhörte Gedankensplitter



1.

Alles, was so zwischen der offen rassistischen White Aryan Resistance (WAR) und anderen White Supremacy-Gruppierungen in der USA sowie den diversen Identitären Bewegungen in Europa changiert, die eine als Ethnopluralismus nur mühsam verhüllte völkische Einstellung vertreten, schaut mit Abscheu und Verachtung auf alles herab, was nicht ist wie sie.

Sie sind die Krone der Schöpfung, die Spitze der Evolution, die Herren der Welt. Die überlegene weiße Rasse, die es rein zu halten gilt. Insbesondere von Elementen der minderwertigen negroiden Spezies.

Nun hat aber das Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig unter Leitung von Svante Pääbo in den letzten Jahren erstaunliches festgestellt: Den Neandertaler hat die Evolution gar nicht dahingerafft. Zumindest nicht vollständig. Er lebt. In uns. Denn bis zu 3% des Erbguts aller Menschen stammt von ihm, dem Vormenschen – selbst die Gene der edlen Herrenrasse sind davon betroffen.

Nur nicht die der Afrikaner...




2.

In der FAS las ich neulich einen kleinen Artikel, in dem über eine aktuelle soziologische Studie aus den USA berichtet wurde. Vorsorglich wies die Autorin darauf hin, dass diese Studie nicht ganz hält, was sich gewisse Kreise vielleicht von ihr versprechen. Aus gutem Grund, trägt sie doch den Titel „Warum die Integration von Muslimen in christlich geprägten Gesellschaften scheitert“.

Die Studie bezieht sich auf Langzeitbeobachtungen der Muslime in Frankreich. Als wesentlicher Grund für das Scheitern wird dort ein Aspekt ausgemacht, der mir, ich muss es gestehen, in dieser Form noch gar nicht recht in den Sinn gekommen ist: Die Abwehrreaktionen in der Gesellschaft finden nicht statt, weil man dem Islam eine Tendenz zur Frauenfeindlichkeit oder etwa höhere Affinität zu Gewalt zuschreibt. Nein: „Es ist die Sichtbarkeit religiöser Praxis, die Nicht-Muslime stört“.

Wir reiben uns in unserer säkularisierten Gesellschaft zunehmend an öffentlich zur Schau getragenen religiösen Symbolen. An Minaretten. An Verschleierungen. An Bärten. Natürlich kann man vermuten, dass dies im laizistisch geprägten Frankreich ausgeprägter ist als bei uns. Aber auch aus Deutschland kennen wir ganz ähnliche Abwehrreaktionen. Heute mehr denn je. Und vor allem aus Orten, wo diese Symbole in der Regel nur in der Theorie oder als Projektion auftauchen.

Das gilt aber nicht nur, wie man glauben möchte, für islamische Symbole. Alles Religiöse ist weitestgehend aus der Öffentlichkeit verbannt. Auch bei uns. Entsprechend begegnen wir allem Religiösen, das in der Öffentlichkeit sichtbar wird (oder werden könnte), mit irritiertem Unbehagen, stellt es doch für uns mittlerweile etwas Fremdes, Unbekanntes, potentiell Gefährliches dar. Und darauf reagieren wir nun mal selten mit einem freudigen Hallo, sondern eher mit entschiedener, manchmal sogar mit aggressiver Ablehnung. Erst verbal, dann physisch.

Mir schießt da ein unguter Gedanke in den Sinn: Sollte diese Studie tatsächlich stichhaltig sein – lässt sich ihr Fazit womöglich generalisieren? Was ist eigentlich mit den hunderttausenden von behinderten Mitbürgern, die früher ein ganz selbstverständlicher Teil des öffentlichen Bildes und damit der öffentlichen Wahrnehmung waren? Was wäre, wenn wir die Tore der Heime öffnen, die Behinderten in die Städte strömen und sie dort wieder für jeden sichtbar würden?

Wie würden wir dann wohl auf sie reagieren?




3.

Erzbischof Kardinal Woelki ist ein verständiger Mann, der mit beiden Beinen im diesseitigen Leben steht. Nichts Weltliches scheint ihm fremd zu sein. Eine Eigenschaft, die man nicht unbedingt jedem Geistlichen zuschreiben kann. Nun hat mich letztens aber dieser gute katholische Hirte durch eine Äußerung etwas irritiert. Da sagte er doch, dass er die derzeitige Debatte um das Zölibat und die Frauenordination nicht recht nachvollziehen kann, weil „diese katholischen Standpunkte dem göttlichen Schöpfungswillen entspringen“.

Zölibat und Ablehnung der Frauenordination sind dem „göttlichen Schöpfungswillen’“ entsprungen?

Ja, in der Tat: Die Frauenordination war bereits im Frühchristentum tabu. Die Gemeinde galt als weiblich, als Braut. Der Priester musste demnach, da hatte man ein ganz traditionelles Rollenverständnis, männlich sein. Wie der Bräutigam. Aber in der gesamten christlichen Literatur seit Anno Domini ist, Herr Woelki möge mich da eines besseren belehren, in diesem Zusammenhang niemals von einem Schöpfungswillen die Rede, dem das Verbot der Frauenordination zuzuschreiben ist. Und von einem göttlichen schon mal gar nicht.

Ähnliches gilt für das Zölibat. Zwar gibt es im Neuen Testament hier und da die Forderung, der Oberhirte einer Gemeinde möge doch bitteschön enthaltsam leben. In einem Akt der Freiwilligkeit, um des Himmelreichs willen, wie es so schön heißt. Um mit ungeteiltem Herzen sich seiner Aufgabe und den Menschen, also als Bräutigam der Braut Gemeinde zu widmen. Wobei es lange einen Dissens in der Frage gab, ob nun unter Zölibat die Ehelosigkeit oder aber die Enthaltsamkeit zu verstehen war  (die Vertreter der Ehelosigkeit scheinen mir recht sympathische moralische Schlawiner gewesen zu sein: Ein Priester sollte ehelos leben, aber nicht enthaltsam...).

Endgültig entschieden wurde diese Frage erst auf dem Zweiten Laterankonzil in Rom. Seitdem gilt für alle Geistliche das Zölibat als kodifizierte Form der sexuellen Enthaltsamkeit. Im Jahr des Herrn 1139 geschah dies, um genau zu sein. Doch was genau geschah da?

Das Zölibat ist, das hat uns Erzbischof Kardinal Woelki ja gelehrt, dem „göttlichen Schöpfungswillen“ entsprungen. Und da es ihm um die verbindliche, nicht aber um die freiwillige Form des Zölibats geht, muss er sich auf ihre Kodifizierung beziehen, die 1139 erfolgt ist. Zu diesem Zeitpunkt muss also, sollte Herr Woelki recht haben, der göttliche Schöpfungswille im Lateran irgendwie über die anwesenden Kleriker gekommen sein. Doch wie? Ist Gott womöglich selbst herabgestiegen und hat ihnen das Zölibat verkündet? Oder haben die gottesfürchtigen Herren daselbst den Heiligen Geist empfangen? Waren sie hernach der Zungenrede fähig?

Ich bin verwirrt, Herr Woelki. Warum erfährt die Menschheit erst jetzt von dieser wundersamen Begebenheit?

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