Mittwoch, 23. März 2016


Wenn die Kühe Götter hätten


Thales, Parmenides, Heraklit, Demokrit, Sokrates, Platon, Aristoteles. Diese Namen aus dem Pantheon der griechischen Philosophie sind wohl jedem beflissenen Bildungsbürger geläufig. Aber der Vorsokratiker Xenophanes? Wenn sein Name fällt, zucken die meisten nur ratlos mit den Schultern. Eigentlich verwunderlich, war dieser Philosoph aus dem kleinasiatischen Kolophon doch einer der originellsten, innovativsten und in mancherlei Hinsicht auch radikalsten Denker des Altertums. Ein ganz eigener Kopf, der sich kaum um Traditionen und überkommene Lehrmeinungen scherte, ein „Sturmvogel der Aufklärung“, wie ihn Wilhelm Capelle nannte.

Unser Wissen, so Xenophanes um 500 v. Chr., sei doch nichts weiter als reine Vermutung und Meinung. Eine Wahrheit vermögen wir nicht zu erkennen, wir können uns ihr bestenfalls annähern. Diese skeptische Haltung machte auch vor dem olympischen Götterhimmel nicht halt: Xenophanes zweifelte nicht allein daran, dass wir je etwas Gesichertes über die Götter werden erfahren können, er stellte auch gleich den gesamten anthropomorphen Polytheismus des alten Hellas in Frage. Geradezu götterlästerlich gelangte er so zu einer zu seiner Zeit bemerkenswert agnostischen Position:

Das All als Ganzes ist eins, ewig, nicht entstanden und unveränderlich, ganz „mit der Gesamtheit der Dinge verwachsen“. Und weiter: „Wenn aber die Gottheit das Mächtigste von allem ist, dann kann sie nur eine einzige sein“. Das All-Eine als die eine allumfassende Gottheit, die ganz Geist ist: „ganz sieht er, ganz denkt er, ganz hört er“. Philosophiert Xenophanes hier noch auf einer theologisch-theoretischen Ebene, die einen fast schon an die scholastischen ‚Disputationes’ um das Wesen Gottes erinnern, so wendet er sich im nächsten Moment ganz lebenspraktisch unserer naiven Beschränktheit zu, mit der wir unreflektiert den Topos vom personalisierten Gott in die Welt gesetzt haben, der das Weltbild ganzer Zeitalter, Zivilisationen und Religionsgemeinschaften mit prägte. Und pulverisiert ihn mit fast schon satirischem Spott:

Die Äthiopen stellen sich ihre Götter schwarz und stumpfnasig vor, die Thraker dagegen blauäugig und rothaarig“.

Das, was damals für die Griechen galt, gilt in gleicher Weise auch heute noch für uns. Unser Bild von Gott ist von unserem Bild vom Menschen geprägt. Da sind wir ganz einfach strukturiert. Wir haben die unheilige Neigung, nicht zu abstrahieren, die Dinge nicht aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten, uns nicht in andere hineinzuversetzen. Nur zu gerne gehen wir von uns aus, sehen die Welt nur mit unseren Augen. Ganz generell, bis hinein in die profansten Dinge unseres Alltags. Menschlich zwar, aber doch recht beschränkt. Und keine gute Voraussetzung für ein gedeihliches Zusammenleben. Wie wir es gerade ganz aktuell mal wieder erleben dürfen. Für die meisten Menschen gibt es nur eine gültige Sichtweise der Dinge: die eigene. Die eigene Wahrheit als die einzige Wahrheit. Dumm nur, dass sie natürlich jeder für sich reklamiert. Damit hat man dann einen ganzen Sack voll konkurrierender Wahrheiten mit Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Das kann nicht gut gehen. Gerade, wenn es um religiösen Fanatismus oder heilsgewisse Alleinvertretungsansprüche jedweder Couleur geht.

An diesem Punkt wird es bei Xenophanes, gerade im Hinblick auf die heutigen Ereignisse, noch einmal so richtig spannend. Denn er gibt nicht allein unsere eingeschränkte, monoperspektivische Weltsicht der Lächerlichkeit preis. Nein, er geht einen entscheidenden Schritt weiter – er gibt jede religiöse anthropozentrische Weltsicht der Lächerlichkeit preis:

Wenn Kühe, Pferde oder Löwen Hände hätten und damit malen und Werke wie die Menschen schaffen könnten, dann würden die Pferde pferde-, die Kühe kuhähnliche Götterbilder malen und solche Gestalten schaffen, wie sie selber sind“.

Das ist nichts weniger als der endgültige Abschied vom personalisierten Gott. Und damit fast so etwas wie die Kopernikanische Wende in der Theologie. Aber wer so an dem Gott zweifelt, den er vor Augen hat, muss nicht verzweifeln. Ganz im Gegenteil. Denn in diesem Moment des größten Zweifels hat er doch eine unbezweifelbare Gewissheit: Dubito ergo sum, ich zweifle, also bin ich. So Rene Descartes, der Großmeister der Aufklärung. Der Zweifel konstituiert die Gewissheit, dass ich bin: Diese Einsicht lässt einen demütig werden. Und diese Demut imprägniert zwar nicht vollends, aber sie bietet zumindest einen gewissen Schutz vor der selbstgefälligen Arroganz eines jedes Wahrheitsanspruchs. Insbesondere des eigenen.

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