Montag, 29. Februar 2016


Redundanz und Penetranz


„Wer dich veranlassen kann, Absurditäten zu glauben, der kann dich auch veranlassen, Unrecht zu begehen."
Voltaire, Questions sur les miracles, 11. Brief (1765)

Das Prinzip der Redundanz und Penetranz ist ein klassisches PR-Instrument, das es lange vor der Erfindung der Public Relations gab. So tut zum Beispiel jede Religion, die in ihren Ritualen und Gebeten immer und immer wieder die Grundfeste und Grundbegrifflichkeiten ihres jeweiligen Glaubens betont, strukturell seit jeher nichts anderes. Und wie das nun einmal so ist mit Strukturen und Mechanismen: Sie sind an sich völlig wertneutral, jeder kann sie jederzeit zu seinen jeweiligen Zwecken mit seinen jeweiligen Intentionen einsetzen. Im Guten wie im Schlechten. Im religiösen wie im politischen Kontext. Oder auch im ökonomischen. Zwischenmenschlichen. Werblichen. Seinem Einsatz sind keine Grenzen gesetzt. Es ist universell. Und eben neutral.

Die beständige Bezeugung im Islam, „Es gibt keinen Gott außer Allah“, folgt diesem Schema ebenso wie die nervtötende Persil-Persil-da weiß man, was man hat-Persil-Werbung in den 70ern. Und auch die so stupide wie erfolgreiche Massensuggestion, die Hitler bereits 1926 im Kapitel „Kriegspropaganda“ seines Machwerks „Mein Kampf“ propagierte und die Goebbels später, jedoch weitaus perfider, zur Perfektion brachte, tut nichts anderes.

Der PR-Manager, der Muslim oder auch die Werbeabteilung von Henkel sind sicher nicht einmal ansatzweise mit den banal bösen Gestalten des dunkelsten Kapitels deutscher Geschichte auf eine Stufe zu stellen. Aber sie alle machen sich das in seinen Grundzügen gleiche Schema zunutze.

Das weiß vielleicht jedermann, aber kaum einem ist es in dem Moment, in dem man sich des Schemas bedient, auch bewusst. Mit Karl R. Popper sind wir jedoch gefordert, uns dies immer wieder bewusst zu machen. Angesichts der Gräuel der kommunistischen und nationalsozialistischen Regimes stellte er sich eine grundsätzliche Frage: Hat die Weltgeschichte einen Sinn? Und seine Antwort lautete: Nein, hat sie nicht – wir müssen ihr einen Sinn geben. Wir dürfen dies nicht einer wie auch immer gearteten Macht überlassen, der wir uns ausliefern, indem wir Verantwortung delegieren. Wir müssen Verantwortung übernehmen. Täglich aufs Neue:

„Die einzige rationale Einstellung zur Geschichte der Freiheit besteht in dem Eingeständnis, dass wir es sind, die für sie die Verantwortung tragen – in demselben Sinn, in dem wir für den Aufbau unseres Lebens verantwortlich sind; dass nur unser Gewissen unser Richter sein kann.“

Und Verantwortung übernehmen heißt in diesem Fall: bereit sein, stets über unser Handeln und über dessen Strukturen, Mechanismen und Konsequenzen zu reflektieren, sie zu hinterfragen. Sonst sind wir nicht davor gefeit, wieder von der offenen in die geschlossene Gesellschaft zurückzufallen. Und damit, so Popper, in die Barbarei.

„Wir sind das Volk“ – was in friedlicher PR-Mission einmal eine breite Mehrheit der Bevölkerung einer verschwindend geringen Minderheit poststalinistischer Apparatschiks entgegengesetzt hat, ist mittlerweile zu einer redundanten wie penetranten PR-Parole einer ihre eigene Weltsicht absolut setzende Minderheit degeneriert, die durch diese Setzung problemlos imstande ist, sich selbst als die einzig wahre Mehrheit – das Volk – zu definieren und alle anderen, Syrer wie Sympathisanten, aus eben diesem Volk auszugrenzen. Damit erhält der Slogan mit einem mal eine durchweg völkische Konnotation.

Wer ihn im Angesicht einiger Busse mit verschreckten Flüchtlingen skandiert, dabei den Untergang des Abendlandes prognostiziert und die christlichen Werte im Orkus der Weltgeschichte versinken sieht, der geht bereits den ersten Schritt in eben die Richtung, vor der uns Popper gewarnt hat. Zumal dort, wo gerade einmal 0,4% Muslime leben und über 70% weder getauft sind noch irgendeiner christlichen Konfession angehören. Kaum anzunehmen, dass einer dieser Demonstranten weiß, dass nicht das Abendland das Christentum hervorgebracht hat, sondern viel eher das Herkunftsland eines Großteils dieser Flüchtlinge – Syrien.

Das ist das Perfide: Wenn zwei das Gleiche tun, ist es noch lange nicht dasselbe. Es sieht so harmlos aus. Die gleichen Strukturen, die gleichen Parolen, womöglich sogar die gleichen Personen. Und doch ist alles anders. Das muss sich jeder verantwortungsbewusste Bürger immer wieder bewusst machen. Nur dann bleibt es einem bewusst. Für Popper ist das ein wesentlicher Teil des Kampfs für die Freiheit, der niemals endet. Niemals dürfen wir uns ausruhen und uns ihrer sicher wähnen. Immer bleibt der Schoß fruchtbar noch, aus dem das kroch. Aber wenn auch wir Werber, PR- oder Social Media Manager unserer Verantwortung gerecht werden, dann bleibt der Aufstieg des Arturo Uli ein aufhaltsamer.

Die Parforcejagd des digitalen Hype


In Zeiten des digitalen Hype schauen alle Beteiligten nur nach vorn. Begeistert tummelt man sich in virtuellen Welten. Berauscht sich an den neuen technischen und medialen Möglichkeiten. Und erstürmt die schier unendlichen Experimentierfelder des Social Media mit geradezu kindlicher Begeisterung. Anything goes, das berühmte anarchische Diktum des österreichischen Philosophen der Beat-Generation, Paul Feyerabend, scheint hier fröhlich Urständ zu feiern. Mach, was du willst – Hauptsache, es macht dem Verbraucher Spaß. Hauptsache, es emotionalisiert. Unterhält. Erzählt Geschichten. Derzeit wird gefühlt wöchentlich ein Hype geboren und als neuer Hut in den Ring geworfen, aufgegriffen, aufgesetzt. Und als alter Hut wieder verworfen. Schnell weiter zum nächsten Hype.

Angesichts dieser verwirrend schnellen Entwicklung, die einen fast atemlos macht und beständig das Gefühl vermittelt, zu spät zu kommen, hat kaum einer der neuen Kanäle die Chance, einmal wirklich bis zur Gänze ausgelotet zu werden. Gerade hat man sich fast schon enthusiastisch auf die eine Option gestürzt, eröffnet sich an anderer Stelle schon die nächste, noch viel lustvoller zu bespielendere. Diese oftmals unreflektierte Begeisterung für das jeweils Neue und Nächste lässt umgekehrt das Letzte schnell als das Gestrige erscheinen. Das Vergangene ist vergessen, was allein zählt, ist das Kommende – ungute Erinnerungen an das „Futuristische Manifest“ werden wach, das Filippo Marinetti 1909 euphorisch proklamierte: Der unerschütterliche Glaube an das Morgen, reduziert auf den technologischen Fortschritt und die grenzenlosen Möglichkeiten, die er einem bietet. Ein solcher Glaube ist blind und völlig immun gegen kritische Stimmen. Und da Glaube gerne das, woran geglaubt wird, absolut setzt, wird derjenige, der nicht in gleicher Weise auf der Welle mitreitet, milde belächelt. Und das ist noch die harmloseste Reaktion.

Schon deshalb lohnt es sich, einmal kurz auf die Spaßbremse zu treten, inne zu halten und darauf aufmerksam zu machen, dass eine gewisse historische Kenntnis der Sujets manchmal doch recht erhellende, mitunter auch verstörende Erkenntnisse zeitigen kann. So zum Beispiel die, dass die digitalen Medien mitnichten eine neue Ära der Kommunikation eingeläutet haben.

Wer daran glaubt, differenziert nicht Strukturen und Mechanismen von Inhalten und Intentionen. Und diese wiederum nicht von den technischen und medialen Möglichkeiten, die einem in der jeweiligen Dekade zur Verfügung stehen. So verführen einen die sagenhaften Optionen einer digital transformierten Kommunikation schon mal schnell zum Irrglauben, dass die Teilnehmer des Spiels hier Terra incognita betreten. Aber das ist nicht der Fall. Denn gerade die Strukturen und Mechanismen, die die Blaupausen jeder Kommunikation sind, in der der Eine den Anderen zu etwas bewegen und ihn an etwas glauben machen will, sind seit Menschengedenken im Wesentlichen unverändert. Es ist also bestenfalls alter Wein in neuen Schläuchen.

Was man sich dabei bewusst machen muss: Diese Blaupausen haben eine bemerkenswerte Eigenschaft, die sie so unvergänglich wie universell verwendbar machen – sie sind wertneutral. Sie können für das Eine ebenso gut eingesetzt werden wie für ihr Gegenteil. Denn es interessiert die Struktur nicht die Bohne, wer sich ihrer bedient, mit welchen Intentionen man sie nutzt und mit welchen Inhalten sie befüllt wird. Das vergessen – zum Beispiel – gerne die, die gleich aufschreien, wenn man es wagt, „Propaganda“ und „Public Relations“ in einem Satz zu nennen. Dabei sollte diese Erkenntnis einen lediglich für die Chancen, aber eben auch für die Gefahren sensibilisieren, die in einer gleichartigen Struktur stecken. Und eine wesentliche Erkenntnis lautet nun mal: Wenn zwei das Gleiche tun, ist es noch lange nicht dasselbe. Wenn GAFA – also Google, Amazon, Facebook, Apple – all überall Daten sammelt, so kann und muss man das auch kritisch sehen. Nichtsdestotrotz ist das, was da geschieht, rein ökonomisch getrieben und dient allein dazu, den gläsernen Verbraucher zu erschaffen. Wenn sich jedoch Staaten des gleichen Mechanismus bedienen und Daten sammeln, so steckt eine gänzlich andere Intention dahinter: Sie wollen den gläsernen Bürger. Und das sicher nicht aus rein ökonomischen Gründen.

Ganz ähnlich verhält es sich im journalistischen Kontext. Strukturell ist das, was die Autoren der „Jungen Freiheit“ tun, nichts anderes als das, was die Autoren der „Zeit“ oder „FAZ“ tun. Oder eben auch das, was mittlerweile ganze Heerscharen von Journalisten im Content Marketing generieren. Erstere sind jedoch nicht an einer kritisch abwägenden, ausgewogenen Berichterstattung interessiert. Sie verfolgen, anders als plumpe Propagandisten, die auf ein schlichtes Niveau und redundante und penetrante Wiederholung ewig gleicher Parolen setzen, sehr subtil, zielgerichtet und konsequent einen Kurs, der auf die systematische Verfestigung eines bestimmten Weltbildes bei den Lesern gerichtet ist – eine Intention, die so rein gar nichts mit dem Fixpunkt des journalistischen Leitbilds zu hat: Unabhängigkeit. Wo diese Autoren einem ideologischen Weltbild verhaftet sind, fühlen sich jene der derzeit so übel diffamierten „Lügenpresse“ einem kulturellen Auftrag verpflichtet. Ob dieser immer zur vollsten Zufriedenheit erledigt wird, steht auf einem anderen Blatt. Aber die Intention ist da. Und im Content Marketing? Da stellen Journalisten ihre qualitativ hochwertigen Erzeugnisse als relevante Inhalte für eine definierte Interessenszielgruppe in den Dienst einer ökonomischen Sache – eines Produktes, einer Marke, eines Unternehmens: Sie sprechen den Leser als Leser an, der hier aber de facto Verbraucher resp. Kunde ist. Unabhängig sind diese Autoren sicherlich nicht mehr, aber zumindest so seriös wie jeder andere Werbetreibende auch. Jedenfalls solange, wie sie sich dessen bewusst sind, dass sie zwar strukturell journalistisch arbeiten, aber nicht mehr intentional.

Mag sein, dass viele an dieser Stelle murren und sagen: Was soll das, weiß ich doch längst alles. Aber – etwas wissen und sich einer Sache in dem Augenblick bewusst sein, in dem man sie tut: Das sind zwei völlig verschiedene Paar Schuhe. Zum einen. Zum anderen: Wer aus der Generation derer, die jetzt gerade in die BWL-Studiengänge, die Hochschulen für Design, in die Texterschmieden und Miami Ad School strömt oder sie verlässt, weiß das? Absolventen der PR-Studiengänge, der Medien- und Kommunikationswissenschaften vielleicht. Aber der überwiegende Teil derer, der ganz am Anfang seiner Karriere steht, wird beim Anblick Trojanischer Pferde wohl eher die großartigen Perspektiven vor Augen haben und sich angesichts dessen kaum selbstkritisch die manipulatorischen Einsatzmöglichkeiten seiner Fähigkeiten vor Augen halten bzw. halten wollen.

Dabei könnte uns, gerade in Zeiten eines auseinanderdriftenden Europas, wo wieder einmal längst überwunden geglaubte Ansichten und Agitatoren Oberwasser gewinnen, etwas historisches Fachwissen, ein ausgeprägtes Bewusstsein und gewisse analytische Fähigkeiten nicht schaden. Es relativiert den Glauben an die vermeintliche Neuartigkeit dessen, was man tut. Sensibilisiert einen für potentielle Schattenseiten seiner Arbeit. Und immunisiert im Idealfall dagegen, dass man sich morgen zum Büttel derjenigen macht, über die man heute noch lacht.